Vorlesen – von Heinrich Kreibich

Eine alltägliche Sache, die buchstäblich Wunder wirkt …

Fast alle Eltern finden es „irgendwie“ gut – aber viel zu wenige praktizieren es: das Vorlesen. Dabei gibt es kaum eine andere gemeinsame Beschäftigung in der Familie, die den Kindern so viel mit auf den Weg gibt wie eine Vorlesestunde. Denn Vorlesen schult nicht nur das Sprachvermögen, es weckt die Neugier auf Geschichten und stärkt die Motivation, sich der anspruchsvollen Aufgabe des Lesenlernens zu stellen. Und darüber hinaus vermittelt die gemütliche Vorleseatmosphäre viel Geborgenheit: etwas, von dem Kinder nicht genug bekommen können.

Das tägliche „Vorleseritual“ bedeutet Geborgenheit, Zuwendung und intellektuellen Anreiz.

Die stille, beschauliche Atmosphäre einer Vorlesestunde steht in scheinbarem Widerspruch zum quirligen Familienalltag. Es lohnt sich dennoch, ein allabendliches „Vorleseritual“ einzuplanen: Denn zum einen ist so ein Ritual schneller und einfacher in den Tagesablauf integriert, als viele befürchten. Und zum anderen profitieren die Kinder sehr von dieser irgendwann alltäglichen und dennoch stets ganz besonderen Zuwendung. Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wird, lernen besser und sind selbstbewusster in Bezug auf ihre intellektuellen Leistungen. Und die meisten Eltern stellen schnell fest: Vorlesen macht nicht nur den Kleinen Spaß – sondern auch den Großen.

Für eine gelungene Vorlesestunde muss man kein ausgebildeter Schauspieler oder Synchronsprecher sein: Es reicht aus, die Texte mit Freude vorzutragen. Besonders schön ist es, wenn Sie den Nachwuchs das Leseprogramm bestimmen lassen. Wundern Sie sich nicht, wenn hier immer wieder das gleiche Buch vorgeschlagen wird: Kinder brauchen das beruhigende Gefühl, „immer das Gleiche“ präsentiert zu bekommen. Es hilft ihnen, Gefühle oder Gedankenzusammenhänge zu verarbeiten.

Natürlich sollten Sie jedoch auch Ihren Geschmack nicht völlig verleugnen. Denn lustloses „Herunterleiern“ hilft niemandem.

Ganz besonders wichtig ist es, die Texte nicht einfach auf sich beruhen zu lassen, sondern mit den Kindern ins Gespräch zu kommen: Oft springen die Gedanken der Kinder von den Erlebnissen der Geschichtenhelden zu ihren eigenen Erfahrungen in Kindergarten oder Schule. Hier kann man auf einmal ein außergewöhnlich schönes Erlebnis noch einmal Revue passieren lassen – oder einen Streit auf spielerische Weise analysieren. Auf diese Weise lernt Ihr Kind viele soziale Strategien, die ihm helfen, sich in Gruppenprozessen zu bewähren.

Als Vorlesestoff kommen übrigens nicht nur klassische Vorlesegeschichten in Frage, sondern auch Sachbücher. Sie werden bei Kindern immer beliebter – vielleicht weil viele von ihnen grafisch ausgesprochen faszinierend sind. Leider lesen in Deutschland 42 Prozent der Eltern von Kindern im „besten Vorlesealter“ – also bis einschließlich der Grundschulzeit – nur selten oder gar nicht vor. Mit vielen Projekten möchte daher die „Stiftung Lesen“ eine lebendige Vorlesekultur schaffen. Unser Anliegen: Wir möchten in Zusammenarbeit mit Schulen, Bibliotheken und Kindergärten bzw. Kindertagesstätten immer wieder Vorleseanlässe schaffen. Und vor allem den wichtigsten Vorleseort ins rechte Licht rücken: das heimische Sofa. Hier kann im Rahmen regelmäßiger Vorlesestunden so viel für die kindliche Entwicklung getan werden wie im Klassenzimmer. Mindestens.

Über das Vorlesen kommen Eltern mit ihren Kindern ins Gespräch: Soziale Kompetenzen werden gestärkt.

Heinrich Kreibich

Fazit: Vorlesen stärkt das Lernvermögen und das intellektuelle Selbstbewusstsein Ihres Kindes.